Teil 1: Von Blockstürmen, Pfefferspray und Eisenstangen
Seit unserem Statement zur Derby-Berichterstattung der Kleinen Zeitung vor etwas mehr als zwei Wochen hat sich einiges getan. Die Resonanz auf Social Media war überwältigend, die Redaktion hat sich zu einer Entschuldigung veranlasst gesehen und auch der SK Sturm hat mit einem eigenen Statement nachgelegt, in dem er die Berichterstattung kritisch eingeordnet hat. Dabei wurde deutlich: Die Schauergeschichten, die im Zusammenhang mit dem letzten Derby zu lesen waren, decken sich nicht im geringsten mit der Erfahrung von Stadionbesuchern.
Wir begrüßen die Bereitschaft lokaler Medien, eigene Fehler einzugestehen und sind froh, auf diese Weise eine erste Debatte losgetreten zu haben. Das kann aber nur der Anfang sein. Die jüngste Berichterstattung war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – das Problem ist allerdings, wie am Ende unseres letzten Statements bereits angedeutet, ein strukturelles. Kurz runtergebrochen: Wir haben den Eindruck, dass sich etablierte Vertreter der steirischen Medienlandschaft angesichts finanzieller Probleme und wachsender Konkurrenz auf Social Media immer stärker dazu genötigt sehen, boulevard-artige Methoden anzuwenden und dramatisierend zu berichten.
Uns liegt es fern, hier von der „Lügenpresse“ zu schwadronieren oder den Leitmedien in Graz und der Steiermark pauschal die journalistische Kompetenz abzusprechen. Fundierter, lokal verankerter (Fußball-)Journalismus ist wichtig, aber es gibt ein Problem, wenn die notwendigen Ressourcen fehlen, um anständig zu recherchieren (Stichwort check-recheck-double check) und in der Jagd nach Aufmerksamkeit vollkommen verzerrte Bilder gezeichnet werden.
In welchem Ausmaß das in den letzten Jahren zum Schaden des SK Sturm und seiner Fangemeinde passiert ist, wollen wir nun in einer Serie an Texten nachzeichnen, die wir in den kommenden Wochen über unsere Kanäle veröffentlichen werden. Es geht uns nicht bloß um die Auflistung der Verfehlungen einzelner JournalistInnen oder Medienhäuser. Durch die Aufarbeitung wollen wir einerseits mit falschen Erzählungen aufräumen und ein Bewusstsein für falsche Berichterstattung und ihre Folgen schaffen. Andererseits wollen wir jedoch auch explizit auf die Strukturen hinter dieser Hexenjagd aufmerksam machen, die nur selten derart offensichtlich zum Vorschein kommen.
Der Ausgangspunkt dieser Serie ist – wie könnte es auch anders sein – das Cup-Derby am 2. November 2023. Dass es hier zweifellos zu unschönen Vorfällen gekommen ist, die in der Sturmfamilie für berechtigten Unmut und Aufarbeitungsbedarf gesorgt haben, ist uns bewusst. Dennoch sind wir der Meinung, dass durch ungenaue und reißerische Berichterstattung die Ereignisse in den Medien auf bisher ungekannte Weise aufgebauscht und dramatisiert wurden, sodass letztlich ein völlig verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit stehen geblieben ist. Ob es ein Fehler war, dass wir uns nicht 2023 schon zu Wort gemeldet haben, ist im Nachhinein schwer abzuschätzen. Wir vermuten aber, dass in der aufgeladenen Stimmung nach dem damaligen Derby sowieso jedes Statement gegen uns gewendet worden wäre.
Beginnen wir mit einer Betrachtung der Berichterstattung unmittelbar im Anschluss an das Derby und zwei fragwürdigen Behauptungen, die damals unwidersprochen medial verbreitet wurden: Erstens handelt es sich um den Vorwurf eines „Überrennens“ der Sicherheitskräfte beim Einlass in der Nord, der im Anschluss an das Derby von Matthias Dielacher, Obmann-Stellvertreter des GAK, kolportiert wurde und suggeriert, dass die Nord von Besuchern ohne Karten geradezu gestürmt worden wäre (O-Ton: „Die meisten sind einfach überhaupt ohne Ticket hinein, die Sicherheitssperren wurden einfach überrannt“, steiermark.orf.at, 03.11.2023). Dass der Einlass chaotisch verlief und die Kontrollen angesichts nachdrückender Massen im Eiltempo durchgeführt wurden, ist richtig. Dass die Securities kollektiv überrannt worden und die Mehrheit der Besucher ohne Ticket in der Kurve gewesen wären, ist allerdings eine absurde Dramatisierung und Pauschalisierung, die von Dielacher wohl strategisch ins Spiel gebracht wurde, um vom totalen Scheitern des eigenen Sicherheitskonzepts abzulenken.
Zweitens war in verschiedenen Medien von einem vermeintlichen Pfeffersprayangriff auf einen Polizisten nach dem Derby die Rede, der es auch in viele Schlagzeilen schaffte (etwa in der Online-Ausgabe der Kleinen Zeitung am 03.11.2023, „Polizist mit Pfefferspray attackiert, 60 Anzeigen, mehrere Verletzte“). Die Geschichte, die auf Aussagen eines Polizeisprechers basiert, wird einige Tage lang medial immer wieder hochgekocht. Bei späteren Ermittlungen scheint sie allerdings keine Rolle mehr zu spielen (siehe etwa Kleine Zeitung vom 22.11.2023). Woran das liegen mag? Entweder haben die Behörden die Ermittlungen nach einem bewaffneten Angriff auf einen Polizisten aus unbekannten Gründen direkt wieder eingestellt – oder die kolportierte Verletzung ist auf unsachgemäßen Pfefferspray-Gebrauch durch Polizisten selbst zurückzuführen und die Geschichte war von Anfang an eine Ente. Der Leser möge für sich entscheiden, welche Variante ihm realistischer erscheint.
In Folge wollen wir auch noch eine dritte Geschichte thematisieren – wobei es eigentlich die Kleine Zeitung selbst war, die sie kürzlich zum wiederholten Male ausgepackt hat. Die Rede ist von einem vermeintlichen Angriff auf Fanshop-Verkäuferinnen mit Eisenstangen. Wie bekannt sein dürfte, wurden nach einer Auseinandersetzung in der Nähe des GAK-Fansektors Fanartikel von einem dort aufgebauten Stand gestohlen. Interessanterweise macht aber Matthias Dielacher selbst bereits am Tag nach dem Derby deutlich, dass dabei keine Verkäuferinnen verletzt wurden (steiermark.orf.at, 03.11.2023). Trotzdem wird im GAK-Forum des Austrian Soccer Board (ASB) unter großer Resonanz unwidersprochen behauptet, dass diese krankenhausreif geprügelt worden wären (03.11.2023, bis heute zu lesen). Befeuert wird diese Geschichte durch ein anonymes Diffamierungsvideo, das in diesen Tagen im Internet kursiert ist und einzelne Sturmfans namentlich der Tat bezichtigt hat.
Die angeblich eingesetzten Eisenstangen tauchen nach unseren Recherchen erst vier Tage nach dem Derby in der Berichterstattung auf, sind von da an aber nicht mehr wegzubekommen. Nicht einmal im ASB, wo die Fantasie zu diesem Zeitpunkt am Blühen war, ist davon die Rede – es ist Monika Krisper-König von der Kronen Zeitung, die dieses Detail als erste dazudichtet („Mehrere Maskierte sollen ja zum Teil mit Eisenstangen bewaffnet den Laden gestürmt und Schals geplündert haben“, krone.at, 06.11.2023). Tags darauf erscheint es in noch dramatischerer Form in einem Artikel in der Printausgabe der Krone (O-Ton: „Fans, […] die mit Eisenstangen Wehrlose überfallen und verletzen“, 07.11.2023). Auch die Kleine Zeitung springt im Rahmen eines „Aufweckers“ von Christian Penz mit auf: „Die Szenen haben sich eingebrannt: Ein Mob, der mit Eisenstangen GAK-Nachwuchsspielerinnen ausraubt, die für ihren Verein Schals verkaufen“ (Kleine Zeitung, 07.11.2023). Sie haben sich eingebrannt, da stimmen wir zu, stattgefunden haben sie allerdings nicht.
Vom hier behaupteten schweren Raub, den auch Hansjörg Bacher, (derzeit suspendierter) Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz und bekennender GAK-Fan, in der Kleinen Zeitung als Verdacht in den Raum stellt (07.11.2023), bleibt vor Gericht ein einfacher Diebstahl über. Auch die Eisenstangen haben in den Urteilen keine Rolle gespielt – weil es schlicht keine gab.
Man mag uns nun i-Tüpfelreiterei vorwerfen: Wir sind aber der Meinung, dass durch eben diese Details die Ereignisse massiv dramatisiert wurden. Der folgende Absatz aus einem Artikel der Kronen Zeitung (07.11.2023) hält das eindrucksvoll vor Augen: „Fans, die das Stadion stürmen, mit Eisenstangen Wehrlose überfallen und verletzen, Gegenstände herumwerfen, mit Pfefferspray Polizisten attackieren: dramatische Vorfälle, die sich am Allerseelentag in Graz beim Cup-Derby zugetragen haben. Doch wie konnte es so weit kommen?“
Wie im Text aufgezeigt, basieren die hier genannten dramatischen Vorfälle allesamt auf zumindest fragwürdigen Informationen, deren Wahrheitsgehalt augenscheinlich nicht näher überprüft wurde. Der Einsatz von Waffen oder Gewalt gegen Frauen sind Triggerpunkte, die im öffentlichen Diskurs – mit Recht! – eine absolute Grenzüberschreitung markieren. Jemandem zu Unrecht ein solches Verhalten zuzuschreiben, kommt einer Dämonisierung gleich. Hätte man hier nachgeforscht, wäre das Gesamtbild – trotz aller Verfehlungen, zu denen es an diesem Tag zweifelsfrei gekommen ist – aber ein wesentlich weniger drastisches gewesen.
Die hier behandelten Punkte waren aber nur der Anfang. Wesentlich schwerer wiegt aus unserer Sicht, wie in weiterer Folge auf dem Rücken einzelner Sturmfans Stimmung gemacht wurde. Aber dazu mehr im nächsten Beitrag.