Rapid Wien (0:2) Sturm Graz
ÖFB-Cup Finale, Klagenfurt
So. 30.04.2023 20:30; 30.000 ZuseherInnen
Am 30. April 2023 sollte es also das erste Mal überhaupt passieren: Sturm Graz gegen Rapid Wien im Cupfinale, und damit auch das Aufeinandertreffen der unangefochten größten und besten österreichischen Fanszenen auf neutralem Boden.
Der Weg ins Finale war für Sturm sportlich sicher kein leichter, und aus Ultra-Sicht ein äußerst spannender: Nach dem Start im weit entfernten Röthis wartete bereits in Runde zwei mit Austria Salzburg ein Kracher auf uns, gespielt wurde in Graz. Ebenfalls in Graz gespielt wurde in Runde drei, allerdings offiziell mit Sturm als Auswärtsmannschaft im vertrauten Stadion, da die Cupauslosung das erste gespielte Grazer Derby nach 15 Jahren Pause bedeutete. Im Anschluss musste man nach Salzburg, wo mit dem Serienmeister und Serien-Cupsieger der klare Titelfavorit im Elfmeterschießen aus dem Bewerb geworfen werden konnte. Auch im Halbfinale bescherte das Los den sportlich schwersten Gegner, aber auch der LASK konnte zu Hause geschlagen werden.
Auf der anderen Seite des Turnierbaums war der Weg für Rapid ins Finale in diesem Jahr deutlich unspektakulärer, im Detail: SK Treibach, Allerheiligen, WSG Tirol, Wolfsberger AC, SV Ried.
Spätestens mit dem Einzug ins Finale köchelte auch schon die Gerüchteküche auf. Aufgeschnappte Infos zu Anreiseplänen, Choreodesigns, möglichen Angriffen oder Graffiti-Aktionen aus dem grünen Wien wurden geteilt und je nach Charakter und vor allem Alter unterschiedlich ernst aufgefasst. Insbesondere der Gedanke an den Heimweg brachte die Fantasie auf Hochtouren, immerhin teilte man sich eine weite Strecke des Weges. Obwohl aus Wien ein Sonderzug anreiste und Busse über die Obersteiermark umgeleitet werden sollte, wurde sich im Vorfeld so manche Italo-Style-Raststätten-/Balkan-Style-Autobahn-Schlacht ausgemalt. Einigen älteren Kollegen kostete das wohl nicht mehr als ein Lächeln, für andere waren sie sogar Motivation um selbst besonders aufmerksam und aktiv zu werden, wobei hier besonders jene Burschen und Mädls erwähnt sein sollen, die in den Wochen zwischen Halbfinale und Finale in der Klagenfurter Region für schwarz-weiße Graffitis sorgten.
Der Kartenverkauf wurde für dieses Finale von gleich drei Seiten organisiert, denn während Sturm und Rapid ihr Kontingent selbstständig an die Leute brachten, gab es auch einige tausende Karten im neutralen Bereich online zu erwerben – freilich nur wenige Sekunden lang, denn dieses Aufeinandertreffen im Bewerbsfinale hätte gut und gerne auch in einem doppelt so großem Stadion gespielt werden können ohne Angst vor freie Plätzen haben zu müssen – obgleich es an größeren Stadien in Österreich natürlich mangelt und aus Sturm-Perspektive das Klagenfurter Stadion durchaus schon lieb gewonnen wurde, konnte man ja bereits 2010 und 2018 dort Cupfinale gewinnen.
Anders als beim Cupfinale 2018 sollte die schwarz-weiße Kurve heuer auf der unattraktiveren der beiden Hintertorseiten Platz finden, die zwar im Fassungsvermögen nahezu ident ist, mit dem Auswärtssektor und einer komplett überdimensionierten Videowall die Koordination des Supports behindert und Choreos schwerer in der Umsetzung macht. Nichtsdestotrotz wurde sich von Seiten der Szene schnell dazu entschieden, etwas umzusetzen, was über Zettel/Fähnchen plus Spruchband hinaus geht. So wurde auch ein Riesenüberzieher als zentrales Element für die Choreo vorbereitet. Bei der Planung der Choreo wurde sich bewusst ans Design der Choreo von 2018 angelehnt und die exakt selbe Schriftart gewählt, schließlich erfüllte das Design damals klar seinen Zweck. Auch thematisch wurde die Choreo weitergeführt, nach „STURM“ als simplen Schriftzug im Jahr 2018 sollte nun „GRAZ“ geschrieben stehen, und mittig nach kurzer Pause ein 35*27 Meter großes Bild des Grazer Wahrzeichens mit Sturmfahne zu sehen sein, ebenfalls rein in Schwarz und Weiß gehalten. Um das geplante Unterfangen auch finanzieren zu können, wurde ein ähnliches Motiv auf schwarze Shirts gedruckt, welche am Spieltag für eine Choreospende an die Leute gebracht werden sollte.
Auch abgesehen vom Malen und logistischen Planen der Choreo war es in Graz nicht still. Der Ligabetrieb lief weiter, und sieben Tagen vor dem Cupfinale standen sich in Graz mit Sturm und Red Bull Salzburg die beiden erstgereihten in der Tabelle gegenüber. Ein Sieg unserer schwarz-weißen hätte zu diesem Zeitpunkt die ganz reelle Chance auf den Meistertitel bedeutet, mit der 0:2-Heimniederlage war aber klar, dass in dieser Saison wohl eher nur ein Titel zu holen sein wird, und dass am kommenden Sonntag nichts schiefgehen darf. Sportlich standen die Vorzeichen gut, schließlich konnten alle drei direkten Duelle gegen Rapid in der laufenden Saison gewonnen werden, zuletzt einen knappen Monat vor dem Finaltag.
Finaltag
Abgesehen von einer weiteren Graffiti-Aktion zwei Tage vor dem Spieltag – inklusive medialer Erwähnung und einer Putzaktion der lokalen Feuerwehr – blieb es in den Tagen vor dem Finale entspannt. Am Spieltag selbst musste natürlich niemand mehr motiviert werden, und ab 10 Uhr rollten die ersten von dutzenden Bussen voller Sturmfans in Richtung Klagenfurt. Neben den Grazer Fangruppen waren zu diesem Zeitpunkt auch bereits Gäste aus Bremen sowie Madrid (Rayo Vallecano) mit uns unterwegs, während sich rund 30 Italiener aus Pisa und Carrara erst auf halber Strecke in den Konvoi einreihten. Im Laufe des Tages sollten auch noch drei KSCler dazustoßen, welche direkt nach Spielende in Düsseldorf mit Kleinflugzeug in Richtung Klagenfurt abhoben.
Der Klagenfurter Busparkplatz wurde direkt nach Ankunft genutzt, um Griller anzuheizen und es sich gemütlich einzurichten. Zusätzlich wurde auch von offizieller Seite eine „Fanmeile“ entlang des Stadions eingerichtet, in der sich einige lokale Geschäftstreibende eine goldene Nase verdienten. Mit Fortdauer des Tages trafen immer mehr Schwoaze an, selten sah man so viele Sturmfans in voller Montur so dicht (im doppelten Sinne) versammelt. So wurden die vielen Stunden Wartezeit bis Einlass genützt, um bei bestem Wetter mit vielen altbekannten Gesichtern ins Gespräch zu kommen.
Zeitgleich gab es auch einige wenige Kilometer entfernt einen weiteren Treffpunkt für tausende Fans – die Rapid-Szene traf sich beim Minimundus-Park, um von dort Richtung Stadion zu marschieren. Die Route der Grünen war bekannt, und so wurde mittels platziertem „R.I.P. Benco“ Spruchband unser Beileid an jene, die wenige Tage zuvor einen Freund verloren hatten, ausgedrückt.
Entgegen anderslautenden Ankündigungen war es nicht einmal Kleinstgruppen erlaubt, schon vor offiziellem Einlass die Tribüne zu betreten, um Aufbauarbeiten für die Choreo zu erledigen. Vermutlich wurde es Veranstaltern oder den Behörden (nicht ganz unbegründet) einfach unwohl beim Gedanken, dass Ultras beider Lager gleichzeitig auf den Tribünen werken. So brachte man sich vor dem offiziellen Einlass mit einigen hundert Leuten aus Szene und Szene-Umfeld am Eingang in Stellung, um drinnen möglichst schnell loslegen zu können. Schließlich strömte man in den Block und hatte die Choreo in Rekordzeit aufgebaut, während auf der gegenüberliegenden Seite einige wenige Rapidler werkelten und verdutzt schauten. Die letzten Minuten bis zum Ankick um 20:30 konnten mit gutem Bauchgefühl und einer Unmenge an Vorfreude abgewartet werden. Schon mit dem Aufwärmen der Mannschaften am Feld legten beide Kurven mit lauten Gesängen und Pyro los, und spätestens da dürfte wirklich allen im Stadion klar geworden sein, welches Potenzial diese Begegnung in sich trägt. Zur Überraschung vieler wurde jetzt auch ersichtlich, dass sich wohl mehr Grazer als Wiener Fans beim Kaufen der angesprochenen Tickets im freien Verkauf durchsetzen konnten. Die zahlenmäßige Mehrheit lag also tatsächlich auf unserer Seite, was einige Jahre zuvor bei dieser Begegnung noch undenkbar erschienen wäre.
Mit dem Einlaufen der Mannschaften gab es auf beiden Seiten Choreos zu sehen. In der Grundidee waren diese recht ähnlich, Plastikfähnchen in Muster plus großem Spruchband erschienen wohl beiden Seiten als organisatorisch stemmbar. Dass auf unserer Seite dann noch ein Überzieher folgte, während das Bild auf der Gegenseite statisch blieb, dürfte so manchen Grünen vermutlich noch heute wurmen, zudem die Choreo der Rapidler wohl auch optisch nicht als besonders toll in Erinnerung bleiben wird. Dass auf dem Spruchband dafür gleich zweimal ein UR-Schriftzug zu sehen war, sagt viel über die Megalomanie der Wiener Führungsgruppe und die Verhältnisse des Block West generell aus.
Auf den Tribünen ging es, wie erwartet, mit voller Lautstärke und ohne Pausen zur Sache. Auf beiden Seiten Dauergesänge und immer wieder Pyro, stimmungstechnisch war das wohl mitunter das Beste, was Österreich jemals gesehen hat. Wie schon in den Cupfinali davor hatten unsere Gruppen – ebenso wie die von Rapid – auf dem Oberrang Stellung bezogen, was sich positiv auf die Akustik auswirkte. Nahezu jeder Gesang zündete und wurde zum Selbstläufer, wobei es die ungewohnten Dimensionen teils erschwerten, den Tifo zu koordinieren und so mancher Gesang mit Fortdauer in einen Kanon mündete. Ein besonderes Erlebnis in Klagenfurt stellen Hüpfereien aller Art dar, die das Stadion nicht nur sprichwörtlich zum Beben bringen. So geriet der Oberrang gehörig, immerhin wirkte diesmal im Gegensatz zu den zwei Cupfinali davor aber zumindest die Anzeigetafel ausreichend befestigt. Am Feld dürfte die erste halbe Stunde lang tatsächlich Rapid, wenn auch ohne echte Torchancen, die tonangebende Mannschaft gewesen sein. Auf den Tribünen präsentierten sich gesanglich beide Seiten konstant sehr gut, jeweils mit den Fangruppen im Oberrang und einer Tonanlage im Unterrang.
Die zweite Halbzeit wurde auf beiden Seiten mit Pyro auf den Rängen eröffnet, und zwar in Mengen die wohl selbst den erfahrensten Instagram-Allesklickern und Twitter-Hooligans den Mund offenstehen ließen, den Leuten im Stadion ohnehin. Auf Rapid-Seite gab es eine ordentliche Anzahl an Blinkern zu sehen, gut verteilt platziert und insgesamt schön anzusehen. Auf Sturm-Seite wurde in der ersten Reihe des Unterrangs Rauch in schwarz und weiß gezündet – passend zum Muster der ersten Halbzeit und dem Spruchband mit dem Zitat unseres erst im Jahr zuvor verstorbenen Jahrhunderttrainers Ivica Osims: „Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist, auch.“. Während sich die zweifarbige Rauchwand vom Unterrang aus aufbaute, wurden vom Oberrang Leuchtraketen gezündet, welche den Rauch durchdringen und für ein unglaublich mächtiges Bild sorgen konnten. Dass es sich mit der Einschätzung nicht nur um einen verklärten Blick mit Vereinsbrille handelt, bestätigten auch unzählige Kommentare, Berichte, Blogeinträge und Podcasts, die über das Spektakel berichteten; in sozialen Medien erreichten Videos der Show wohl Millionen. Während in Deutschland wohl von pietätlosen Szenen angesichts des Ukraine-Kriegs die Rede gewesen wäre, wurde die Show in der österreichischen Medienlandschaft einhellig gelobt – selbst der Österreichische Fußballbund als Veranstalter hielt sich mit Distanzierungen und Strafen sehr zurück, da man dem Vernehmen nach den Werbewert der viral gegangenen Bilder sehr zu schätzen wusste.
Auch auf dem Feld ging es weiter, Sturm mittlerweile klar tonangebend und gefährlicher, und auch in der Kurve sang man auf konstant hohem Level, so laut wie jeder konnte und im Glauben, viel mehr ist nicht möglich. Doch dann wurde man eines Besseren belehrt, denn mit dem Führungstreffer von Manprit Sarkaria in Minute 65 wurden nochmals Energien frei die einen unglaublich heftigen, erleichternden, und gefühlt minutenlangen Torjubel ermöglichten. Fußball kann so schön sein! In der Kurve wurde es nun noch lauter, ausgelassener und fröhlicher, und auch die schwarz-weißen auf der Längsseite ließen sich nicht lange bitten um ordentlich Gas zu geben. Knapp 20 Minuten nach dem 0:1 dann erneut Sarkaria, der die Menge ausrasten ließ. Sturm führte fünf Minuten vor Schluss 0:2 und würde sich den sechsten Cupsieg der Vereinsgeschichte nicht mehr nehmen lassen, während knapp 15.000 Rapid AnhängerInnen nicht mehr fähig waren sich aufzuraffen. Zu allem Überfluss für die Wiener war genau für diesen Moment auch ein Spruchband eingepackt worden, welches als Antwort auf ein Spruchband der Rapidler gegen uns im Spiel zuvor zu verstehen ist. Beim eben letzten Aufeinandertreffen kam von Seiten der Tornados nämlich wie schon so oft ein versuchter Diss mit Hauptstadt-Komplex, ganz konkret „Du, Bauer sind nicht alle Grazer Schweine? ja! Natürlich.“, wobei das das „ja! Natürlich“ im bekannten namensgleichen Markenschriftzug dargestellt wurde. Wer sich alte Werbungen jener Marke ansieht, wird schnell auf den Ausspruch „Spitzt’s eure Schweinsohren!“ stoßen, und genau dieser Spruch erschien uns als passend für die letzten Minuten des Cupfinales, während sich die werten Hauptstädter von den Bauern „Und schon wieder keine Titel SCR“ anhören durften. Offensichtlich dürften die Rapidler besser im Austeilen als im Einstecken sein, denn Spruchband und Schmähgesang wurde nicht mit Humor aufgenommen, dafür warfen vereinzelte Grüne orange Rauchtöpfe auf den Rasen, einer der Wurfgegenstände traf gar einen Spieler der eigenen Mannschaft. Dadurch bedingt kam es zu einer kurzen Unterbrechung am Feld, während auf Sturm-Seite des Stadions natürlich weiter Vollgas gegeben wurde. Während bei uns der Schampus sprudelte, gab es auf Rapid-Seite maximal Natursekt: So echauffierten sich Nutzer in Online-Foren, dass nach dem Spiel vom Oberrang gepisst wurde, während die grünen Zuseher aus dem Unterrang das Stadion verließen. Auch wenn der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote an dieser Stelle nicht überprüft werden kann, stellt sie doch ein treffendes Sinnbild dieses Cupabends dar.
Nach den letzten Minuten am Rasen war es dann offiziell, Sturm holt das Ding und darf sich nach dieser Cupsaison verdient Cupsieger nennen, Rapid bleibt seit 2008 titellos. Die Erleichterung über den Sieg in allen Gesichtern erkenntlich, sowohl auf der Tribüne als auch bei der offiziellen Pokalübergabe am Rasen. Schön zu sehen, wie die Professionalisierung des Vereins in den letzten Jahren fruchtet!
Bengalen und Blinker leuchteten und es an allen Ecken und Enden zischte und krachte fanden sich Teile der Szene zwischen den Bussen zu einer spontanen Siegesparty zusammen und tanzten und pogten sich zu feinsten Melodien in Ekstase. Umarmungen und Küsse wurden ausgetauscht, und Leute zauberten immer wieder Leute Pyrotechnik aus ihren Taschen um die Parkplatzparty nicht ausgehen zu lassen. Irgendwann rollten dann aber alle Busse Richtung Heimat, voller erschöpfter, aber sehr glücklicher Menschen. Der befürchtete Stau blieb ebenso aus wie etwaige Aufeinandertreffen mit Rapidlern, und so war die Nacht bei der Ankunft in Graz noch jung genug, um noch fröhlich weiterzumachen. So mancher war noch nicht zuhause gewesen, als sich die Szene am nächsten Tag im Augarten traf, um gemeinsam zur Cupsieger-Feier am anschließenden Sturm-Geburtstag in die Stadt zu spazieren. Wieder wurde das an diesem Wochenende schier unerschöpfliche pyrotechnische Arsenal ausgepackt, wieder wurde frenetisch gejubelt und gefeiert. „Wir haben noch Großes vor“ hatten wir zu Beginn der Rückrunde angekündigt.
An diesen Tagen wurde klar: Wir haben Großes geschafft.