Auch die letzte Chance vergeben

SKN St. Pölten – SK Sturm Graz 1:0 n. V.
Mittwoch, 07. Mai 2014, 20:30 Uhr
NV Arena St. Pölten, 8.000 Zuseher (ca. 2.000 Gästefans)
ÖFB-Cup 2013/14, Halbfinale

Was hätte das nicht für ein Abend werden können, was hätte man nicht für ein unvergessliches, weiteres Kapitel in der Geschichte des österreichischen Klubfußballs und im Speziellen des Sportklubs Sturm Graz schreiben können, was hätte die Mannschaft mit nur einer guten und ambitionierten Leistung, die einen Sieg gegen einen Zweitligisten, den Aufstieg in das ÖFB-Cup-Finale und das Lösen des Europapokaltickets zur Folgen gehabt hätten, nicht alles vergessen machen können und welche Eskalation wäre nicht möglich gewesen in einem unglaublichen Block von schwarz-weißen Fanatikern… und wieso musste es dann doch wieder einmal alles anders kommen und die kleine, wieder und wieder entfachte Flamme der Euphorie so unerbittlich gelöscht werden?

Euphorische Vorbereitung

Angefangen hatte alles wunderbar, nach dem Sieg über die Admira in der Südstadt im Achtelfinale fieberte man bereits der Auslosung für die nächste Runde entgegen und allen Wunschkonstellationen war eines gemein: Nur nicht Salzburg! Trotz des kurz zu zuvor errungenen, historischen Sieges gegen die bereits als Meister feststehenden Bullen wollte man es dann doch eher vermeiden, auf dem Weg in das Finale und damit den Europacup auf die historisch starke Truppe aus dem Hause Red Bull zu treffen. Darüber, ob es lieber ein (vermeintlich) sicheres Heimspiel oder doch ein Trip in ein auswärtiges Stadion werden sollte, schieden sich ein wenig die Geister. Doch eines sollte im Vorhinein klar sein: keiner der beiden Zweitligisten Horn oder St. Pölten, welche sich zu diesem Zeitpunkt noch im Bewerb befanden, durfte zum Stolperstein auf dem Weg zum großen Traum von einem abermaligen Finale in Schwarz-Weiß in Klagenfurt nach 2010 und von einer neuen Saison im Europapokal werden. Und spätestens als bei der gemeinschaftlich verfolgten Auslosung das Zettelchen mit dem Aufdruck Red Bull Salzburg gezogen wurde und feststand, dass dieses Unheil über Horn und nicht uns hinweg fegen wird, brandete kollektiver Jubel auf. Das kurz darauf feststehende Los St. Pölten auswärts war mit Sicherheit der geheime Wunsch vieler, die sich im Cup wie immer nach neuen, alternativen Gegnern und Stadien sehnen, um dem grauen Ligaalltag zu entfliehen, was vor allem in diesem Jahr in allen Belangen notwendig war. Und selbst unter den ewigen Pessimisten gab es wenige, die einen Gedanken daran verschwendeten, dass die Sache sportlich schief gehen könnte. So mobilisierte man ab diesem Zeitpunkt – nachdem auch noch der optimale Spieltermin auf Mittwoch, 20:30 Uhr, gelegt wurde – auf allen nur erdenklichen Wegen, um für dieses eine Spiel einen Rahmen zu schaffen, der gar nichts anderes zulassen sollte, als einer (weiteren) verkorksten Saison ein positives Ende zu verleihen.

Und dass Sturm trotz der Schwierigkeiten in den letzten Jahren immer noch lebt und selbst die müdesten Kicker die Euphorie des schwarz-weißen Anhangs nicht bis auf’s Letzte brechen können, bewies die supportwillige Sturmfamilie ein weiteres Mal. Das erste Kartenkontingent war binnen Stunden vergriffen und auch als feststand, dass man eine gesamte Hintertortribüne im schicken, neuen Heimstadion des SKN, welches erst im Juli 2012 eröffnet wurde, zugesprochen bekommen würde, ging der Verkauf weiter, bis die in etwa 1.700. Karte über den Grazer Ladentisch gewandert war. Die Vorfreude auf diese Party stieg beinahe ins Unermessliche und mündete in sich überschlagenden Busanmeldungen. Spätestens am Tag X Mittwoch durfte man von niemandem mehr erwarten in der Arbeit, auf der Uni oder in der Schule mit vollem Eifer bei der Sache zu sein. Viel mehr hörte man förmlich die Uhr Richtung Feierabend ticken und um spätestens 15:30 Uhr mochte man an der alten Liebenauer Endstation schon fast ein Heimspiel des SK Sturm vermuten. Viel mehr Menschen als an diesem Mittwoch tummelten sich in dieser grottigen Saison nämlich gefühlt auch bei einem solchen nicht am Vorplatz des Stadions im Grazer Süden. In klassisch chaotischer Manier wurden in letzter Sekunde noch die letzten Handgriffe zur Fertigstellung der geplanten Choreo getätigt, alles in die Busse geladen und es hieß: Abfahrt!

Mit ungewohnt angezogener Handbremse verlief maximal die Bewusstseinserweiterung einiger Reisender, die es für sinnvoll erachteten, zumindest diesen einen großen Abend der Saison mit möglichst klarem Kopf erleben zu dürfen. Die Busse hingegen brachten die knapp 230 Kilometer recht zügig hinter sich und so trudelte der schwarz-weiße Mob mit einem angenehmen Zeitfenster am Sportplatz des Sportklubs Niederösterreich (dem 2000 gegründeten Nachfolgeverein des FCN St. Pölten, und dessen Vorgänger, der VSE St. Pölten) ein. Noch vorm Aufwärmen der Mannschaften brachte sich der Block in Stimmung und spätestens als die Jungs unseres Klubs aus den Katakomben aufs Feld liefen, explodierte die Kurve im Norden das erste Mal. Die Motivation schoss auf den Tribünen schon über die Haarspitzen hinaus und entlud sich zu Spielbeginn in einer lodernden Pyroaktion, die untermalt von 1.000 selbst angefertigten schwarz-weißen Fähnchen noch einmal das einzig zulässige Motto klar machten: Mit wehenden Fahnen ins Cupfinale!

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Optimismus

Auch mit Ankick brodelte der Auswärtsblock weiter und es war einfach ein geiles Gefühl, an diesem Mittwoch in diesem (mit Fans aus dem Umland) circa 2.000 Mann und Frau starken Haufen zu stehen. Bis Mitte der ersten Halbzeit nahm diese Euphorie auch keinen Abbruch und die mit weiteren 6.000 Menschen prall gefüllten Heimtribünen hatten selbstverständlich nichts entgegenzusetzen. Anders gestaltete sich jedoch die Entwicklung auf dem Spielfeld. Die Mannen in Gelb-Blau wurden mit Fortdauer des Spiels immer offensichtlicher die bessere Mannschaft, waren aggressiver, zweikampf-, lauf- und spielstärker und hätten in Halbzeit Eins eigentlich in Führung gehen müssen, spätestens nach einem missglückten Ausflug von Torhüter Bene Pliquett, der einen Schuss am leeren Tor vorbei zur Folge hatte. Doch noch wollte man sich auf unserer Seite nicht die Stimmung vermiesen lassen und blendete die Erfahrungen, die man mit dieser Mannschaft im Laufe der Saison gemacht hatte, noch gekonnt aus und zumindest die Kurve rief ein absolut vorzeigbares Niveau ab. Die Pausengespräche wirkten zwar schon etwas ängstlich ob des Geschehens auf dem Platz, jedoch hieß die Devise „Weitermachen!“. Es musste an diesem Tag doch einfach aufgehen!

Ungläubigkeit

Zu Beginn der zweiten Halbzeit präsentierte die Kurve ein Glückwunschspruchband für Ivica Osim, der am Tag zuvor seinen 73. Geburtstag feierte und dessen Geist wohl für die Ewigkeit in Graz präsent bleiben wird. Die Lieder wurden in ungebrochener Lautstärke gen St. Pöltener Nachthimmel gesungen.

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Nachdem eine weitere Druckphase der Heimmannschaft festgestellt werden musste, folgte so etwas wie eine „starke“ Phase des SK Sturm. Doch wie so oft in dieser Saison fruchtete das vermeintlich gefällige Passspiel nach vorne überhaupt nicht, zu Ende gespielt wurde kein einziger Angriff und als Maximalausbeute konnte man einzig und allein den ein oder anderen Vorstoß des engagierten Flo Kainz über links beobachten. Doch der war die meiste Zeit völlig auf sich alleine gestellt und fand keine Anspielstation, weder im Angriff noch im verwaisten zentralen Mittelfeld, wo sich beide Akteure ausschließlich um die defensiven Aufgaben der ihnen zugeteilten „6er“-Postion kümmerten. Und so verebbte langsam auch dieses Sturm-Lüftchen und es machte immer mehr den Anschein, als hätten unsere Kicker wieder einmal ihre Cojones zu Hause gelassen. Der SKN übernahm wieder das Kommando. Immer weiter breitete sich der Schatten einer drohenden Verlängerung aus. Und da man sich glücklicherweise zumindest kein Gegentor einfing, war es nach 90 Minuten Gewissheit und die Ungläubigkeit im Block groß. Das durfte doch nicht wahr sein.

Enttäuschung und Wut

Nach den Eindrücken der vorangegangen zwei Halbzeiten konnte niemand mehr so recht glauben, dass das heute noch gut ausgehen könnte. Akzeptieren wollte man das jedoch nicht und so versuchte man weiter unermüdlich, den Block und die Mannschaft anzutreiben. Jedoch passte sich langsam auch die Körpersprache der Kurve jener der Spieler an, die schlichtweg eine Gemeinheit war, mit hängenden Köpfen schlichen sie bereits über das Feld. Auch die Koordinationsprobleme schienen sich vom Feld auf die Tribüne zu übertragen. Und so kam es wie es kommen musste: 97. Minute, Freistoß von halbrechts für St. Pölten. Ausgerechnet der provokante Ex-Rapid-Prolet Dober packt seinen Gewaltschuss aus, Pliquett greift absolut in die Scheiße, lässt den Ball nach vorne abprallen und der eingewechselte Noel staubt ab und beschert dem Heimpublikum so etwas wie Weihnachten und Ostern zugleich. Spätestens jetzt war klar, die erhoffte Party wird das heute nicht mehr, maximal für den motivierten Heimblock der Wolfbrigade, aus dem endgültig ordentlich Bewegung zu vernehmen war und dem es Respekt zu zollen gilt. Ein Elfmeter-Schießen sollte es an diesem Tag auch nicht geben, da Sturm schlichtweg zu schwach war. Daran änderte auch ein motivierter Patrick Wolf, der nach seiner Einwechslung über rechts noch für etwas Dampf sorgte, nichts mehr. Schließlich wurde auch die einzige, echte Torchance in den 120. Minuten, ein Schuss von Beichler, vom gegnerischen Torhüter pariert. Dann war Schluss mit diesem Trauerspiel und Sturm stürzte ins Tal der Tränen, während St. Pölten den Finaleinzug und das gelöste Europacupticket feierte. Die Meisten wären wohl voller Enttäuschung ob dieser letzten, vergebenen Chance auf ein positives Erlebnis an Ort und Stelle im Boden versunken. Bei einigen Wenigen entlud sich der Spannungsabfall in einem spontanen, kleinen „Platzsturm“. Die Wut auf die Verursacher auf dem Feld war einfach zu groß und nicht alle hatten ihre Nerven so gut im Griff. Jetzt mag man über die Verständlichkeit, Sinnhaftig- bzw. –losigkeit einer solchen Aktion diskutieren, fest steht, es ist zu hinterfragen, inwiefern so etwas den Wert hat, vieles zu riskieren… Im Endeffekt war die Sache recht schnell wieder beruhigt, da die Exekutive ruhig blieb, etwas chaotisch organisiert wirkte und auch von einem gewissen Herrn Präsidenten zur Ruhe gemahnt wurde und da sich einige Spieler zur Rede stellten. Der „Hauptschuldige“ wusste wohl selbst am besten, was er mit seinem Fehlgriff angerichtet hatte, ließ die Unmutsäußerungen über sich ergehen und wird wohl wie wir alle noch länger an diesem Abend zu knabbern haben. Die Saison war gelaufen. Jene, die nach diesem Spiel noch einzelne Spieler mit Sprechchören feierten, sollten sich auch einmal selbst hinterfragen. Selbst der sympathischste Fußballprofi hat es sich nach so einer Leistung nicht verdient. Einzelne Gruppen verharrten dann noch einige Zeit im Block, unfähig zu realisieren, was gerade passiert war. Die Heimfahrt, die eine der tristesten in all den Jahren war, das Interview des Trainers, der nach dem Spiel definitiv die falschen Worte fand und das Auswärtsspiel, das zum Saisonabschluss am Sonntag unter beschissenen Umständen in Wien-Favoriten stattfinden sollte, interessierte schließlich kaum noch jemanden. Zu groß war die Enttäuschung, zu sehr hatte einen diese Mannschaft an diesem Tag im Stich gelassen. Es war vorbei.

– 15/4/12 –

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