FINALSTORIES: KLAGENFURT 2.0 – 2018

Zum Abschluss unserer Finalstories gibt es einen Bericht vom jüngsten Pokalsieg unseres Vereins, dem Sieg gegen die Bullen aus Salzburg. Taucht in den folgenden Minuten nochmal ein in diese magische Nacht und holt euch die letzte Motivationsspritze für morgen. Viel Spaß und wir sehen uns in Klagenfurt!

Es ist doch nun mal so. Red Bull dominiert den österreichischen Fußball am Feld nach Belieben. In den letzten 10 Jahren gewann man 8 Mal den österreichischen Meistertitel. Zuletzt gar fünf Jahre in Folge. Voraussichtlich ebenso zum fünften Mal in Folge wird man heuer auch den Cup gewinnen. Es ist ganz klar. Ignoriert man deren blamable Championsleague-Statistik – neunmal traten sie zur Qualifikation an, neunmal scheiterten sie an ebendieser – haben die Dosen, der amtierende Europacup-Halbfinalist, sportlich so einiges zu feiern. Ein Erfolg von Sturm Graz im diesjährigen Cupfinale wäre demnach pure Sensation. Aber ich fahre ja auch nicht nach Klagenfurt, weil wir dort gewinnen werden. Niemals gewinnen wir dort. Nach Klagenfurt fahre ich, weil es eines der besten Spiele dieses Jahrzehntes sein wird. Weil sich über 25.000 Schwoaze auf den Weg zum Spiel des Jahres machen werden. Weil unsere Kurve dort alles geben wird. Dort wird man sehen, nein, dort wird man fühlen was Leidenschaft und Emotion bedeutet. Dort wird man sehen und fühlen, was Tradition bedeutet. Voller Stolz werde ich dort stehen und mir die Seele aus dem Leib brüllen. Ich und weitere 25.000 Fans des SK Sturm. Ganz gleich, ob wir dort gewinnen oder verlieren. Und auf der anderen Seite? Ein paar hundert Bullen. Ganz verloren im Meer aus Schwarz und Weiß. Niemals möchte ich jene Seiten tauschen. Niemals. Nicht für 100 Titel mehr. Für nichts auf dieser Welt. Leidenschaft. Emotion. Und Tradition. Gegen die Stupidität der puren Kommerzialisierung. Doch sie werden es nie verstehen. Nicht mein Problem.

Im  21. Jahrhundert stand der SK Sturm 2018 – nach 2010 – zum zweiten Mal im Cupfinale. Damals wie heute fand es im rund 150 Kilometer von Graz entfernten Klagenfurt statt. Dort steht ein kaum genütztes 30.000 Menschen fassendes Stadion. Immerhin: Von 2010 bis 2018 war es Austragungsort eben jenes Cupfinales. Doch voll wurde das Stadion aber eigentlich nur ein einziges Mal so richtig. Genau, es war 2010 als schon einmal über 25.000 Schwoaze den damaligen Favoriten zum ersten Cupsieg seit 1999 peitschten. Es war einer meiner prägendsten Fußballmomente. Jener Moment als Klemen Lavric in der 81. Minute per Kopf zum 1:0 ins gegnerische Tor traf. Für eine Millisekunde herrschte Totenstille. Dann brach es plötzlich aus allen hervor. Frenetischer Jubel. Tausende Umarmungen. Tränen des Glücks.

Der Oberrang des Stadions musste nach dem Spiel gesperrt, saniert und verstärkt werden. So war es eigentlich nicht das Tor, das mir am prägendsten in Erinnerung blieb. Vielmehr war es die Videowall, die über unseren Köpfen verdächtig gefährlich schwankte. Willkommen zurück, teilt sie mir mit, als ich acht Jahre später unter ihr stehe, misstrauisch nach oben schaue und ihr einen skeptischen Blick zuwerfe. Ich werde gerufen, lege das Absperrband beiseite und eile ein paar Reihen zurück zum Eingang. Es ist knapp nach 13:00 Uhr und wir hatten soeben begonnen unsere Choreo vorzubereiten. Da ist es wieder. Dieses Kribbeln. Dieses einzigartige Gefühl, das sich nur vor ganz besonderen Spielen einzustellen vermag. Doch eigentlich war ich erstaunlich gelassen. Kaum jemand rechnete mit einem Sieg.

Am Tag des Spieles traf sich die Szene gegen 11:00 Uhr, um sich langsam auf den Weg Richtung Klagenfurt zu machen. Es galt nicht nur den zu erwartenden Stau zu vermeiden sondern außerdem besagte Choreographie ins Stadion zu bringen und gemeinsam aufzubauen. Dabei sollte ein zweifärbiges Spruchband Ober- von Unterrang trennen und die gesamte Kurve in schwarz-weiße Streifen teilen. Dazu gab es farblich passende Fahnen sowie 8000 Shirts. Spruchband und Shirts trugen dieselbe simple aber prägnante Aufschrift. STURM stand dort zu lesen. In sechs Meter hohen Lettern schrie es unsere Message ins Stadion und in die Welt hinaus. Wir sind Sturm. Mit Leidenschaft. Mit Emotion. Mit Tradition.

Dass das so sehr herbeigesehnte Spiel dann letztlich statt um 20:30 Uhr 15 Minuten zu spät seinen Anpfiff fand, hatte dann wohl auch eher mehr mit dem Spruchband zu tun, als mit dem Stau, der sich von Graz nach Klagenfurt gebildet hatte. Während wir – die Vorbereitungen zur Choreo waren gegen 15:00 Uhr abgeschlossen – am Parkplatz saßen, grillten und das ein oder andere Bier genossen, erreichte uns eine desaströse Nachricht aus dem Inneren des Stadions. Die Behörden untersagen unser Transparent. Der Sicherheitsrundgang endete im Desaster. Feuerfest? Nicht dieses Spruchband. Und aus Gerüchten wird Gewissheit. Keine Genehmigung. Keine Choreographie. Das Spiel der Spiele kippt in Richtung Katastrophe noch bevor der erste Ball den Spieler wechselt. Der Spaß, die Vorfreude. Verflogen von einem Moment zum anderen. Eine Lösung muss her. Wir müssen sofort ins Stadion.

Wir drängten als Erste mit aller Kraft zur Eröffnung hinein in den Sektor und fanden unser Transparent noch an Ort und Stelle hängend vor. Wir blockierten die Aufgänge und warteten. Dann wurden die Eingänge geschlossen. Die Kurve wurde gesperrt. Niemand durfte mehr hinein. Es galt: Kein Spiel mit Transparent. Erst wenn wir dieses entfernen, würde der Einlass wieder geöffnet. Und natürlich blieben wir stur. Mit Erfolg. Spät aber doch einigten sich Verein und Stadt. Unsere Choreo durfte bleiben. Sturm übernahm jegliche Verantwortung. So kam es dazu, dass 45 Minuten vor Spielbeginn die Eingänge erneut geöffnet wurden. Und endlich, um 20:45 Uhr standen wir dort und gaben von den Rängen alles was es zu geben gab. Die Süd in weiß und schwarz. Ober- von Unterrang getrennt durch unser Transparent. Tausende Fahnen strecken sich dem Himmel entgegen. Und aus tausenden Kehlen ertönt „Allez, allez, super SK Sturm Graz“. Wir sind Sturm. Erhaben und wunderschön.

Ich erinnere mich. Es war in der 71. Minute. Es stand 0:0. Torlos. Wir waren der klare Außenseiter und rechneten uns nichts, wahrlich nichts aus. Ein schöner Tag, gute Stimmung, Spaß. Ohne Ärger zurück nach Graz. Ich weiß, ich wollte ein passables Spiel sehen. Die Chance bis zum Ende am Leben erhalten. Das war es, was ich wollte. Nicht mehr. Und in der 71. Minute überkam es mich plötzlich. Ich realisierte, dass wir die klar dominierende Mannschaft waren. Wir waren besser. Wir waren tatsächlich besser. Langsam zog die Gänsehaut meinen Körper empor. Lächelnd blickte ich Richtung Spielfeld. Denn in diesem Moment wurde mir eines klar. Wir können dieses Spiel gewinnen. Und das werden wir auch.

112. Minute. Red Bull befindet sich im Ballbesitz. Verlängerung. Wir hatten einen kurzen Hänger, doch seit einigen Minuten erfängt sich Sturm und dominiert eindeutig. Salzburg geht aufs Elfmeterschießen. Oder nicht? Doch, doch… Das verlieren wir. Keine Chance. Elfmeterschießen verlieren wir immer. Doch Sturm hat den Ball. Potzmann. Potzmann… Hierli wäre allein vorm Tor. Und Potzmann flankt.

Jetzt ist es so weit. Dieser eine Moment. Potzmann flankt und Hierländer trifft den Ball. Das gesamte Stadion hält den Atem an. Alles um dich herum verschwimmt. Bis auf jene Szene am Feld. Ganz klar hebt sie sich ab vom Rest der Welt. Einer Zeitlupe entsprungen. Einem Traum. Und alles steht still. Und dann… Alle Dämme brechen. Ein Schrei aus tausenden Stimmen. Die Anspannung fällt ab. Du verlierst komplett die Kontrolle über dich selbst und wirst eins mit all den Menschen um dich herum, mit den Spielern, dem Verein. Darum, genau darum sind wir hier, sind Fan dieses Vereins. Darum investieren wir Stunden um Stunden, fahren in die hintersten Ecken Österreichs, in die hintersten Flecken Europas. Investieren unser Herzblut für Choreos, die nach Sekunden der Vergangenheit angehören. Für diesen einen Moment. Ihr habt ja keine Ahnung. Sturm, du geile Sau!

Ich weiß nicht, wie ich die Stimmung ab diesem Zeitpunkt, dem 1:0, beschreiben soll. Es war einzigartig. Besonders. Von diesem Spiel, von jenen Momenten zehren wir ein Leben lang. Wer weiß schon, wann der nächste dieser Momente kommen wird. Vielleicht nie. Vielleicht schon im nächsten Jahr. Oder in 10. Wer weiß das schon. Magische Momente sind nicht hier, weil man sie auf Knopfdruck bestellen kann. Sie sind hier, weil man sie erkämpft hat. Gemeinsam. Der gesamte Verein, Spieler und Fans. Darum sind sie so unvergesslich. 2018 wie 2010. Wunderschön. Doch das werden sie nie verstehen. Nicht mein Problem.

Sturm, meine Liebe zu dir hält ein Leben lang, ganz egal wohin die Reise geht. Sturm, du holst vielleicht irgendwann den Europacup, scheißegal ob ich das noch erleb!