Die Ursprünge des „modernen“ Fußballs in Graz

Wie der Fußball nach Graz kam

Ende des 19. Jahrhunderts dominieren die von „Turnvater Jahn“ geprägten deutschen Turnerbünde das Sportgeschehen im deutschsprachigen Teil der Donaumonarchie. Doch neu aufkeimende Sportarten vermögen es die hiesige Jugend mehr und mehr zu begeistern und gewinnen an Stärke. Unter den skeptischen Blicken der Turner ist es in den 1880er Jahren vor allem das Radfahren, welches speziell in Studentenkreisen viele Anhänger findet, doch bereits Anfang der 90er Jahre bekommt es Konkurrenz durch eine neue, von den britischen Inseln importierte Sportart – dem „Football“.
Nach Graz gelangt dieser neumodische Sport durch den Prager Studenten August Wagner. Dieser wird von seinen Eltern im Herbst 1893 nach Graz geschickt, da er, als Teil des in ganz Europa bekannten Sportvereins „Regatta Prag“, den Großteil seiner Zeit mit Fußball, anstatt mit dem Lernen, verbringt. Hier in Graz soll er sich nun endlich auf sein Medizinstudium konzentrieren.
Doch kaum in Graz angekommen, besorgte sich Wagner einen Fußball und überredete noch im selben Jahr Kommilitonen vom „Techniker-Alpen Klub“ mit ihm Fußball zu spielen. Unter ihnen soll sich auch der spätere Chemie-Nobelpreisträger Fritz Pregl befunden haben. Als Platz diente den Studenten damals eine Wiese bei der damaligen Radrennbahn hinter der Grazer Industriehalle, im Bezirk Jakomini, wie Wagner sich in einem Brief im November 1925 an Herrn Franz Dietrich erinnert.
Die Dinge nahmen ihren Lauf und sollen, so man der derzeitigen Lehrmeinung Glauben schenken will, am 18. März 1894 zum ersten Fußballspiel auf dem Boden des heutigen Österreich geführt haben. An eben jenem Tag sollen sich zwei Mannschaften des „Akademisch-technischen Radfahrvereins“ auf dem Boden der heutigen Landesturnhalle gegenübergestanden sein und das erste Wettspiel des modernen Fußballs in Österreich ausgetragen haben.

Die Geschichte des Fußballs in Österreich

Ob es sich damals wirklich so zugetragen hat, oder ob hier nicht gar versucht wurde den Grazer Fußball bedeutender zu machen als er wirklich war, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Woher die Geschichte dieses ersten Fußballspieles stammt ebenso nicht. Angeblich wurde sie das erste Mal in einer Grazer Fußballfestschrift publiziert und seitdem von dort unhinterfragt abgeschrieben. Frühe Texte über den österreichischen Fußball die sich mit der Geschichte des Fußballs befassten – egal ob Festschriften oder Zeitungsartikel – erwähnen dieses Spiel – soweit bekannt- jedoch nicht und führen ein Aufeinandertreffen des „Frist Vienna Footballclub“ und des „Vienna Cricket & Footballclub“ am 15.11.1894 als erstes Wettspiel in Österreich. Zudem lassen kürzlich wieder entdeckte Dokumente und Briefe berechtigte Zweifel an der bekannten Geschichte aufkommen.

Das erste Fußballspiel in Graz – Fake-News oder Wahrheit? Lassen wir die Fakten sprechen.

Bereits im Jahr 1891, genauer gesagt in der Ausgabe vom 25. Oktober, berichtet die „Allgemeine Sport-Zeitung“, dass das „Fussballspiel“ in Baden bei Wien von der Jugend des Oberrealgymnasiums seit kurzem „cultivirt“ wird und bei den Schülern großen Anklang findet. Geleitet wird das Training von einem gewissen Herr Professor Ludwig Lechner. In wie weit es sich hier bereits um das uns heute bekannte Fußballspiel handelt, lässt sich nicht nachvollziehen. Weitere Artikel aus dieser Zeitung, die sich mit dem Thema Fußball befassen, berichten von schweren Schulterverletzungen der Teilnehmer, und dass sich die Spieler in Amerika mit Gummimasken die Nasen und Zähne schützen. Jedoch finden sich auch Berichte über die Prager „Regatta“ und andere damals bekannte Fußballklubs in Europa. Die Vermutung liegt nahe, dass man damals unter dem „Fussballspiel“ sowohl den uns heute bekannte Fußball, als auch Rugby verstand, da beide Sportarten dieselben Wurzeln haben und sich in England der Rugbyverband erst 1871 vom Fußballverband abgespaltete.

In den folgenden Jahren verliert sich die Spur des Fußballs in Österreich wieder bis zum Jahr 1894, wo ein gewisser „Herr August Wagner aus Prag“ am 7. April einen Leserbrief in der deutschen Zeitschrift „Spiel und Sport“ veröffentlicht. In diesem berichtet er, dass er einen „Fussball-Club“ zu gründen gedenkt und in Kürze eine „constituierende Versammlung“ einberufen wird. Weiters wird berichtet, dass die Spieler der Grazer Mannschaft seit Anfang Februar zwei bis drei Mal die Woche fleißig trainieren. Bereits eine Woche später schreibt er in einem weiteren Brief, dass der „Grazer Football Club“ am Sonntag dem 8. April von einer „unebenen Wiese bei der Trabrennbahn“ auf eine ebene Wiese neben der Landesturnhalle gezogen ist. Zudem erwähnt er, dass bereits eine große Zuschauermenge dem Spiel folgt und lokale Turnvereine „Gegenaktionen“ durchführen.
Am 1. Dezember 1894 berichtet Wagner in einem dritten, ausführlichen Text, dass sich der „Grazer Football Club“ bereits am 24. Oktober wieder aufgelöst hätte, seine Mitglieder jedoch geschlossen in den, am selben Tag gegründeten, „Akademisch-Technische Fußball Verein“ übergetreten sind. Dieser neue akademische Verein bestand „Großteils aus Couleur Studenten“.

Vergleicht man diese Berichte von August Wagner mit der offiziellen Geschichtsschreibung, so stechen einem vor allem zwei Ungereimtheiten ins Auge. Zum einen, dass die Grazer Fußballer erst am 8. April auf den Platz in der Landesturnhalle gezogen sind und zum anderen, dass der Klub im März/April 1894 „Grazer Football Club“ geheißen haben soll und damals wohl keine Sektion des „Akademisch-technischen Radfahrvereins“ war. Somit ist es wohl unwahrscheinlich, dass am 18. März zwei Teams des ATRV, wobei August Wagner als Teilnehmer des Spiels geführt wird, dieses Spiel bei der Landesturnhalle ausgetragen haben.

Doch es lassen sich bei näherem Hinschauen auch ein paar andere interessante Dinge aus diesen Briefen herauslesen. So dürfte Graz wohl wirklich eine der ersten Städte in Österreich gewesen sein, in der man dem heutigen Fußballspiel nachging. Auch scheint es, als ob der erste reine Fußballverein des heutigen Österreich tatsächlich in Graz gegründet wurde. Der erste Wiener Verein, der „First Vienna FC“, wurde erst am 22. August angemeldet, nur knapp zwei Monate bevor sich der „Grazer Football Club“ bereits wieder auflöste. Die Keimzelle des Grazer Fußball war die Gegend rund um den Jakominigürtel, nicht die Landesturnhalle und zu guter Letzt darf man auch die Rolle, die der ATRV für den Grazer Fußball spielte, nicht klein reden. Zwar gehörte er wie beschrieben wohl nicht zu den Pionieren, jedoch war er in den folgenden Monaten und Jahren ein großer Förderer des Grazer Fußballs.

Ankündigung des Trainings des Grazer Football Clubs (nicht des ATRV)

Die weitere Entwicklung des Fußballs in Graz

Leider lässt sich noch nicht nachvollziehen, ob der, Ende 1894 gegründete, „Akademisch-Technische Fußball Verein“ bereits eine Sektion des ATRV war oder ob es erst im Laufe des Jahres 1895 zur Vereinigung der beiden Klubs gekommen ist. Fakt ist jedoch, dass das erste bekannte Wettspiel eines Grazer Vereins bereits von einer Mannschaft des ATRV austrugen wurde.  Mit dabei die Spieler rund um August Wagner. Dieses Spiel wurde am 20. Oktober 1895 in Wien ausgetragen und vom „First Vienna FC“ mit 6:0 gewonnen.
Spätestens ab diesem Ereignis nahm die Entwicklung im Grazer Fußball ihren Lauf. Bereits im Jahr 1896 gab es das erste dokumentierte „Grazer Derby“. Die Mannschaft des ATRV traf dabei auf einem Team des „Allgemeinen Turnvereins“ und die Radfahrer konnten sich mit 2:0 durchsetzen. 1897 gastierten mit der Prager „Regatta“ und dem „First Vienna FC“ das erste Mal auch auswärtige Vereine in Graz.

Doch bereits 1899, fünf Jahre nach dem ersten Lebenszeichen, kam es bereits zum ersten Bruch im Grazer Fußball, und es sollte nicht der letzte sein. Auf Grund von den nicht näher bekannten Unstimmigkeiten traten zahlreiche Fußballer aus dem ATRV aus und dem im Mai 1899 gegründeten „Grazer Fussball Verein“ bei. Doch bereits Im Jänner 1900 ging dieser Verein im ebenfalls neu gegründeten „Akademischen Sport Verein“ auf, dessen Klubfarben Schwarz/Weiß waren. Dieser Verein musste sich jedoch noch im selben Jahr auf Anweisung der Vereinsbehörden in „Grazer Sport Verein“ umbenennen, da er nicht die erforderlichen Auflagen für einen akademischen Verein erfüllte. Einige Mitglieder waren keine aktiven Studenten. Jedoch erlaubte die Behörde bereits im Februar 1901 wieder die Rückbenennung in „Akademischer Sport Verein“ (ASV).
Im folgenden Jahr dominierte der ASV den Grazer Fußball. Der ATRV bestritt nach der Trennung noch ein bekanntes Spiel gegen den ASV, welches mit 15:1 verloren ging, danach finden sich keine weiteren Hinweise auf fußballerische Tätigkeiten der Radfahrer. Ab 1900 trat eine zweite Mannschaft die unter den Namen „die Schwarz/Grünen“ oder „Vorwärts“ bekannt war auf den Plan.

1902 kam es zum nächsten Bruch. Die Ersatzspieler des ASV, unzufrieden mit ihrer Rolle, trennten sich vom Verein, da sie kaum Einsätze bekamen und gründeten den Grazer Athletiksportklub (GAK) und bereits drei Jahre später verließ der Großteil der übrigen Spieler – erneut wegen Unstimmigkeiten – den ASV und trat dem GAK bei. Dies war – analog zum Schicksal des ATRV – praktisch das Ende des ASV.

Ein Jahr später, im Jahr 1906, gab es bereits die nächste Spaltung. Spieler des GAK verließen den Verein und gründeten die grün-weiße „Grazer Sport Vereinigung“ (GSV), die in den folgenden Jahren ein scharfer Gegner des GAK werden sollte. Und diese beiden Vereine werden auch den Grazer Fußball in den kommenden Jahren dominieren, messen sich vorwiegend mit Vereinen aus Wien, Prag und Budapest und halten den dritten Verein, die Grazer „Vorwärts“, auf Distanz.

Die führenden Mannschaften sind geprägt von akademischen Kreisen, die auch tunlichst darauf bedacht sind, in ihren Vereinen unter sich zu bleiben. Jedoch strahlt der Fußball weit über deren Kreise hinaus und fasziniert bereits weite Teile der Bevölkerung. Und so kommt es, unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, zu einer Entwicklung, die das Gesicht des Fußballs, bald nachhaltig verändern sollte.

Die heimliche Revolution

Während die beiden Vereine GAK und GSV also Spiele gegen Wiener, Prager und Budapester Vereine abhielten, bahnte sich auf den Wiesen und Parks der Stadt eine heimliche Revolution an. Gefesselt von der Faszination, den der neue Sport ausübte, traf sich die Jugend der Stadt, quer durch alle Schichten, eben dort in ihrer Freizeit, um dem neuen Sport zu frönen. Dabei bildeten sich sogenannte „Freie Mannschaften“, die jedoch noch nicht als Vereine organisiert, sondern lose Zusammenschlüsse, meist ohne eigenen Namen, waren.

Augarten 1907

Und eine dieser Mannschaften sollte bald eine spezielle Rolle in dieser Revolution einnehmen und innerhalb kürzester Zeit auch die Führungsrolle im Grazer Fußball übernehmen. Diese Mannschaft, 1909 der heimliche Meister des Augarten, damals bekannt unter Namen wie „Assam del Negro“, „Longin-Mannschaft“ oder „Schönbacher-Mannschaft“ wird bereits 10 Jahre später den GAK vom Thron stoßen und die Nummer 1 unter den Grazer Fußballvereinen sein. Doch blicken wir noch einmal zurück ins Jahr 1908. Wie bereits beschrieben, erfreute sich das Fußballspiel unter den Jugendlichen immer größerer Beliebtheit. Da die Grazer Vereine nur einem elitären Kreis zugänglich waren, errichtete die Grazer Stadtpolitik Fußballplätze in den öffentlichen Parks, darunter zwei Plätze im Grazer Augarten. Fußbälle waren zur damaligen Zeit teuer und nur wenige Jugendliche besaßen einen Ball. Einer dieser glücklichen Buben war Fritz Longin. Sein Vater – Schuldirektor in Leoben – war früh verstorben. Er lebte mit Mutter und dem älteren Bruder Ing. Arthur Longin gleich neben dem Augarten in der Leitnergasse. Arthur hatte eine gute Stelle bei der Maschinenfabrik Andritz, er besorgte Fritz den Lederball. Um ihn bildete sich bald eine Gruppe von Jugendlichen, die innerhalb kürzester Zeit die beiden Fußballplätze im Augarten dominierte. Doch stand diese Gruppe bald vor zwei Problemen. Zum einen waren sie auf den Ball von Longin angewiesen. Diesen hütete er verständlicherweise wie einen Schatz, und sobald er nach Hause ging, konnten auch die anderen nicht mehr weiterspielen. Zum anderen waren die Burschen unglücklich über die Namen, mit denen sie von ihrer Konkurrenz bedacht wurden. So passierte es, dass an einem Tag im Jahr 1909 Fritz Longin wieder einmal nach Hause gehen musste und die Jugendlichen erneut ohne Ball dastanden. Daher beschlossen sie, gemeinsam Geld für einen eigenen Ball zu sammeln, und gaben sich bei der Gelegenheit auch einen eigenen Namen – Sturm!

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